Körperwahrnehmung und Krebs

Ein persönlicher Einblick in die gesundheitlichen Nach- und Nebenwirkungen meiner Brustkrebstherapie, verändertem Körperbild und neuer Körperwahrnehmung.

Inhaltsverzeichnis

„Merkst du eigentlich noch irgendwelche Nach- und Nebenwirkungen von deiner Brustkrebstherapie? Zum Beispiel in Richtung Gewichtszunahme?“

Diese und ähnliche Fragen und Kommentare darf ich mir ein Jahr nach meiner Brustkrebsdiagnose regelmäßig anhören. Ich bin wütend und frustriert – und zwar sehr. Zum einen bin ich natürlich ganz und gar nicht glücklich darüber, mal wieder an Gewicht zugelegt zu haben. Aber vor allem bin ich enttäuscht davon, dass es immer noch so viele Menschen da draußen gibt, die mehr darüber nachdenken, wie mein Körper aktuell aussieht anstatt darüber, inwiefern und wie gut er noch funktioniert.

Die eigene Körperwahrnehmung ändert sich nach einer Brustkrebsbehandlung stark. Und das liegt zwar auch an der Gewichtszunahme (die bei Krebspatient*innen im Übrigen sehr häufig vorkommt), aber vor allem an ganz anderen Dingen.

Nach- und Nebenwirkungen meiner Brustkrebstherapie

Stimmprobleme

Ende Januar verlor ich meine Stimme. In der vorletzten Woche meiner Chemotherapie fing es an: Plötzlich klang ich piepsig und hoch. Redete ich zu lang und zu viel, war irgendwann gar keine Stimme mehr da. Laute Umgebungen stressten mich enorm. Dann nämlich konnte mich mein Gegenüber gar nicht mehr verstehen. Und es dauerte lange, bis man die Ursache meiner Stimmprobleme herausfand.

Müdigkeit

Hinzu kam, dass ich mir in der Woche nach meiner letzten Chemotherapie zwei Bänder und einen Knorpel im rechten Knie verletzt hatte. Während der viereinhalb Wochen, in denen ich bestrahlt wurde, humpelte ich deshalb auf Krücken zur Radiologie. Nach den Behandlungen musste ich eigentlich immer erst einmal zwei Stunden schlafen. Ob das an dem sogenannten fatigue-Syndrom lag, unter dem Krebspatient*innen oftmals leiden, kann ich nicht sagen.

Das Fatigue-Syndrom bezeichnet eine lang anhaltende, sehr belastende Erschöpfung und ist eine typische Begleit- und Folgeerscheinung von schweren Erkrankungen wie Krebs.

Brustschmerzen, Anspannungen und Fehlstellungen

Irgendwann bemerkte ich, dass ich mich nicht mehr richtig bewegen konnte. Wenn ich versuchte meine Arme hinter den Oberkörper zu bringen, spannte sich meine komplette Brustmuskulatur schmerzhaft an – es fühlte sich an, als hätte ich einen konstanten, schweren Muskelkater. Bei Kraulbewegungen knacksten und knarzten meine Schultern. Wenn ich mich im Spiegel betrachtete, konnte ich sehen, dass der Bereich zwischen Kopf und Oberkörper irgendwie verkürzt war. Meine Schulterpartie war nach Vorne gezogen und die rechte Schulter hebte sich sichtbar weiter nach oben. Mein Hals spannte und ich hatte Probleme beim Schlucken. Mein kompletter Oberkörper schien unter Schmerzen, Anspannungen und Fehlstellungen zu leiden.

Von Grippe bis Bronchitis

Ich versuchte mit Sport gegen meine Bewegungseinschränkungen anzugehen, aber mein Immunsystem war und ist von der Chemo geschwächt. Ich bekam in regelmäßigen Abständen Infektionen: Von einer starken Grippe, bei der kurzzeitig Verdacht auf Gürtelrose bestand, bis hin zu einer Bronchitis, die zwei Monate lang nicht so richtig weg wollte. Immer wieder hieß es, ich solle eine Sportpause einlegen, damit sich die Erkältungssymptome legen und Entzündungen vermieden werden können.

Verdacht auf Guertelrose am Port
Weil ich parallel zu einer starken Grippe einen pusteligen Ausschlag an der Einstichstelle meines Ports bekam, bestand kurzzeitig Verdacht auf Gürtelrose

Gelenk- und Knochenschmerzen

Dann begann ich im April mit meiner Antihormontherapie in Tablettenform. Täglich nahm ich eine Anastrozol ein. Schon nach zwei Wochen klagte ich über Gelenk- und Knochenschmerzen. Wenn ich im Fitnesstudio mit niedrigen Gewichten trainierte, fühlte ich mich drei Tage später immer noch, als wäre ich geschlagen worden. Nach einer Zeit taten mir morgens die Fußsohlen so sehr weh, dass ich nur humpelnd ins Bad kam und dort während dem Zähneputzen mit einer Blackroll versuchte, eine Beweglichkeit in die Füße zu bekommen. Nach drei Monaten gab ich auf und wechselte das Präparat.

Kurzatmigkeit

Wie akut mein Körper unter Strom stand, merkte ich nach meiner dritten Logopädie-Sitzung. Ich war in der Zwischenzeit bereits sowohl beim HNO als auch beim Orthopäden gewesen und hatte mir Rezepte mitgeben lassen, um meine Stimm- und Bewegungsprobleme in den Griff zu bekommen.

Zusätzlich zu meinen diversen brutskrebsbedingten Arztterminen lief ich jetzt also auch noch zwei Mal die Woche zur Physiotherapie und ein Mal pro Woche ans andere Ende der Stadt zu einer logopädischen Praxis, in der wechselnde Logopädinnen mit unterschiedlichen Fachschwerpunkten versuchten, meine Stimme zurückzuholen. Die Therapeutin, die mich in der dritten Sitzung behandelte, war spezialisiert auf manuelle Therapien. Mit deutlichem Kraftaufwand auf ihrer und Schmerzen auf meiner Seite lockerte sie Verspannungen in meinem Kieferboden, Halsbereich und Zwerchfell. 

Als ich nach der Sitzung von der S-Bahn nach Hause lief, stellte ich fest, dass sich irgendetwas gelöst hatte: Ich bekam viel besser Luft. Vor lauter Erleichterung kamen mir Tränen in die Augen. Erst in diesem Moment begriff ich, dass ich wochenlang nicht richtig hatte atmen können.

Stress abbauen und dem Körper Gutes tun

Von dort an wurde langsam alles besser. Ich merkte immer mehr, dass viele meiner körperlichen Beschwerden von inneren Anspannungen herrührten – kein Wunder nach den Erfahrungen im letzten Jahr.

Ich musste mich in Geduld üben – nicht gerade meine Stärke. Aber ich war in besten Händen. Meine Physiotherapeuten und Logopäden arbeiteten Hand in Hand, zeigten mir Übungen, lockerten meine angespannten Hals-, Brust- und Nackenmuskeln. 

Ich befolgte die Übungsanweisungen und tat mir mehr Gutes, ging in die Therme und zur Shiatsu Massage in München Sendling, wo meine Freundin Anna mich in minutenschnelle in einen halbschlafähnlichen, fast meditativen Entspannungszustand versetzte.

Und irgendwann – ich kann den Zeitpunkt gar nicht benennen – war alles deutlich besser.

Ich bin promovierte Body Studies Expertin - mein Fokus:

Vorträge und Trainings über
Medienkompetenz & Körper-wahrnehmung

Ein funktionsfähiger Körper

Ein normaler Alltag

Seit Ende Juli war ich nicht mehr krank. Die diversen physiotherapeutischen und logopädischen Maßnahmen haben außerdem meine Stimme zurückgebracht und Schulter-, Nacken, Brust- und Halsbereich wieder beweglicher werden lassen.

 Ich kann auch wieder meinen normalen Sport machen: Zwei Mal pro Woche gehe ich 5km joggen und ich bin wieder im Fitnessstudio für Krafttraining und meinen Lieblingskurs Bodypump. Ich bin natürlich deutlich langsamer beim Laufen und verwende viel weniger Gewichte beim Training. Schmerzfrei bin ich dabei auch nie – eigentlich schon seit einem Jahr nicht mehr. Aber es funktioniert alles. Ich kann wieder einen normalen Alltag führen und das macht mich glücklich und zufrieden.

Innere und äußere Kritiker

Trotzdem ist mein innerer Kritiker stark und ich arbeite gerade daran, mit meiner veränderten Körperbild zurecht zu kommen – mit der Gewichtszunahme, den Narben, dem implantierten Port, der Art, wie sich mein Körper, der künstlich in die Wechseljahre versetzt wurde, anfühlt und wie ich ihn wahrnehme.

Ja, mein Körper hat sich optisch verändert, ja, ich habe zugenommen und neue Narben, ja, ich habe Schmerzen und bin unbeweglicher, aber mein Körper funktioniert und ist – zumindest aus meiner Perspektive – gesund.

Wieso also muss ich mir bei alledem auch noch Kommentare über mein Gewicht anhören? Wieso kann man sich nicht mit mir freuen, dass ich nach einem Jahr mit vier operativen Eingriffen, einer Chemo, einer Bestrahlung, einem kaputten Knie, Logopädie und Physiotherapie, Bronchitis und schweren Grippen körperlich überhaupt zu so viel in der Lage bin? Ich verstehe es nicht. Ich verstehe es wirklich nicht. Und ich bin es leid, so ein Verhalten zu entschuldigen.

Körperbezogene Kommentare und Vorurteile abschaffen

Es wird Zeit, dass alle endlich verstehen: Kommentare über körperliches Aussehen, Gewicht oder auch das Essverhalten anderer sind ein absolutes No-Go.  Auch Kommentare über Gewichtsverlust sind im Übrigen (zumindest für mich) keine Komplimente, sondern bereiten mir großen Stress. 

Man weiß nie, was jemand gerade durchmacht, weshalb ein Körper aussieht, wie er nun einmal aussieht, ob die Person vielleicht psychisch und physisch Krank ist, unter Körperbild- oder Essstörungen leidet und und und. Also übt euch in Empathie und behaltet eure körperbezogenen Vorurteile für euch – oder besser noch: schafft sie komplett ab.

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