Geschlechterungleichheit an Hochschulen
Ich bin die ersten Jahre meines Lebens fast ausschließlich mit Männerfreundschaften aufgewachsen. Das hatte einen ganz pragmatischen Grund, denn im engsten Freundeskreis meiner Eltern sah die Familienkonstellation immer gleich aus: Vater, Mutter, Tochter, Sohn. Und bei uns? Da war die Konstellation: Vater, Mutter, Tochter, Tochter. Wann immer wir Familienbesuch hatten (was bei einer geselligen Italiener-Familie sehr oft vorkam), unterhielten sich meine Eltern also mit den Erwachsenen, meine Schwester spielte mit den älteren Töchtern und ich? Wurde zu den Jung gepackt. Das störte mich aber nicht. Ich kann mich nicht daran erinnern, damals bereits ein Verständnis davon gehabt zu haben, gerade mit Jungs anstatt mit Mädchen zu spielen. Ich spielte einfach mit meinen Freunden. Das war’s.
Später im Jungendalter rühmte ich mich dann oft damit, so viele gute Männerfreundschaften zu haben. Mit denen gäbe es auch weniger Drama.
Ich war also ein richtig ätzendes Pick-me-Girl.
Ein Pick-me-Girl ist eine Frau, die sich durch bewusstes Herabsetzen anderer Frauen oder durch übertriebenes Bemühen, als "anders" oder "besser" wahrgenommen zu werden, versucht, die Aufmerksamkeit und Zustimmung von Männern zu gewinnen.
Geschlechterungleichheit an Universitäten
„Sehen Sie sich doch mal im Hörsaal um. Wer sitzt links und rechts neben Ihnen? Ein Mann oder eine Frau?“
Dass es Probleme zwischen Frauen und Männer gibt, die über das romantische Hin-und-Her und dramatischen Trennungen Liebender im Teenie-Alter hinausgehen, wurde mir erst sehr spät klar. Also so richtig spät. Und ich kann mich auch noch genau daran erinnern, wann ich erstmals stutzig wurde.
Ich saß in einer von einer Professorin gehaltenen Vorlesung am Institut für Theaterwissenschaft in München. Ich kann mich nicht mehr an den Kontext der Vorlesung erinnern, aber an einem Punkt sagte die Professorin: „Sehen Sie sich doch mal im Hörsaal um. Wer sitzt links und rechts neben Ihnen? Ein Mann oder eine Frau? Und wer leitet dieses Institut? Wer unterrichtet an diesem Institut? Sind das Männer oder Frauen?“
Ungleiches Verhältnis zwischen Professorinnen und Professoren an deutschen Universitäten
Theaterwissenschaft ist eine Geistes- und Kunstwissenschaft und wird – es ist wahrscheinlich wenig überraschend – überwiegend von Frauen studiert. In meinem Jahrgang gab es unter circa 100 Studierenden vielleicht 15 Männer. Die wenigen wissenschaftlichen Mitarbeitenden und Lehrstühle waren dagegen fast komplett mit Männern besetzt. Verwässert wurde der Gesamteindruck einer klar männerdominierten Wissenschaftssphäre mit mehreren weiblichen Lehrbeauftragten, die semesterweise für Einzelkurse und geringen Vergütungen am Institut arbeiteten.
Ich kenne die aktuellen Zahlen nicht, aber ich erinnere mich noch genau an die Zahl, die noch vor wenigen Jahren das Verhältnis zwischen Professoren und Professorinnen an deutschen Universitäten beschrieb: 83.
83% der Lehrstühle an deutschen Universitäten waren damals mit Männern besetzt.
83% der Lehrstühle an deutschen Universitäten waren während meiner Studienzeit mit Männern besetzt.
Hitzige Diskussionen
Im Laufe der Zeit sprangen mir immer mehr Ungleichheiten ins Auge. Das störte mich und ich fing an, wie es junge Feministinnen noch mit viel Elan schaffen, mich dagegen zur Wehr zu setzen. Ich scheute keine Diskussion, um auf Missstände hinzuweisen. Das Thema Frauenquote kam dabei besonders oft zur Sprache. Nicht selten war ich als einzige Frau in hitzige Diskussionen mit einer Gruppe gleichaltriger Männer verstrickt – besonders häufig in der Arbeit, wo ich in einer überwiegend mit weißen Cis-Männern besetzten und von einem weißen Cis-Mann geführten Agentur saß.
Dass ich mit meinen – ich möchte fast sagen – Streitereien rein gar nichts bewegen konnte, fällt mir erst heute im Rückblick auf. Die Agentur ist noch da. Nur wird sie jetzt von drei weißen Cis-Männern geführt.
Es wird sich sowieso nichts ändern
Vor etwa zwei Jahren hatte ich es aufgegeben, die Frage „Was hältst du eigentlich von der Frauenquote?“ zu beantworten. Ich war es leid „Und täglich grüßt das Murmeltier“ nachzustellen. Das Gespräch wiederholt sich: Ein Mann stellt mir die Frage „Was hältst du eigentlich von der Frauenquote?“, obwohl er meine Antwort bereits kennen muss (mir steht ‚Feministin‘ im Grunde auf die Stirn geschrieben), nur, um mir dann zu erklären, wieso die Frauenquote das Leistungsprinzip unserer Gesellschaft kaputt macht und dass sein guter Freund (nennen wir ihn Thomas oder Michael) ja in diesem und jenen Bewerbungsprozess nicht genommen wurde, weil eine Quotenfrau besetzt wurde.
Ein gefährlicher Fatalismus hatte sich bei mir eingestellt. Ich beendete die Unterhaltung, noch bevor sie anfangen konnte. Oft dachte ich: „Er wird seine Meinung sowieso nicht ändern.“
Geschlechterungleichheit am Arbeitsplatz
Nachdem ich zwei Jahre lang jedem Gespräch über die Frauenquote, problematische Toiletten- und Umkleidekabinenstrukturen für nicht-binäre Personen und ähnliche Themen gemieden hatte, war ich jüngst in eine Familiendiskussion verstrickt, die mich ins Grübeln gebracht hat.
Drei Männer, eine Frau, zwei Gehälter
Über Weihnachten hatte ich Besuch aus Italien: Meine Cousine, ihre Eltern und ihr Freund waren zu Besuch in München. Meine Cousine ist Ärztin, hatte erst vor kurzem ihre Spezialisierung zur orthopädischen Chirurgin abgeschlossen und arbeitete nun in Festanstellung in einem Krankenhaus in Norditalien. Am Tag der Abschlussfeier, so erzählte meine Cousine uns an Weihnachten, seien sie und ihre drei männlichen Kollegen, die gerade ebenfalls ihre Spezialisierung in der orthopädischen Chirurgie abgeschlossen und Verträge im gleichen Krankenhaus wie meine Cousine unterzeichnet hatten, noch auf einen Absacker in eine Bar gegangen.
„Auf uns!“, hatte einer gesagt.
Alle hoben ihre Gläser.
„Und auf unser stattliches neues Gehalt von 75.000 EUR!“, hatte ein anderer gesagt.
Das Problem war: Meine Cousine hatte kein Gehalt von 75.000 EUR. Ihr war – ohne Verhandlung – ein Vertrag mit einem Jahresgehalt von 61.000 EUR vorgelegt worden. Weil meine Cousine nicht auf den Mund gefallen ist, fragte sie ganz direkt in der Runde nach. Keiner der drei Männer hatte sein Gehalt verhandelt. Auch ihnen war der Vertrag vorgelegt worden – nur eben mit 14.000 EUR mehr Gehalt pro Jahr.
Gleiches Gehalt für alle
Weil meine Cousine zwar stets höflich, aber nicht auf den Mund gefallen ist, ging sie zur Personalverwaltung und sprach sie auf den Gehaltsunterschied an. Nach einigem Hin und Her behauptete das Krankenhaus, es habe einen Fehler gemacht: Die drei Gehälter der männlichen Kollegen seien zu hoch angesetzt worden. Alle vier würden nun Verträge mit ihrem Gehalt, dem niedrigeren Gehalt bekommen.
„Ich ärgere mich nur darüber, dass ich diejenige bin, die sich schämt, weil meine Kollegen jetzt wegen mir weniger Geld bekommen.“, sagte sie beim Weihnachtsessen.
„Dann können wir uns jetzt direkt alle wie die Lemminge vom Balkon stürzen!“
Daraufhin entbrannte eine mehrstündige Diskussion am Essenstisch. Wir sprachen über Geschlechterungleichheit am Arbeitsplatz und in der Welt, über Ungleichheit zwischen Menschen verschiedener Einkommensklassen, über korrupte Politiker und narzisstische Unternehmer. Die eine Seite behauptete, man müsse das Spiel mitspielen, das System nutzen, an anderen vorbeikommen, andere austricksen. „So ist nun einmal die Welt und wir haben keine Macht. Wir können nichts daran ändern. Wir können uns nur ein schönes Leben machen.“, sagte der Freund meiner Cousine. Da platzte ihr der Kragen: „Wenn wir eh nichts daran ändern können, wie unfair diese Welt ist, dann können wir uns auch jetzt gleich alle wie die Lemminge aus dem Fenster werfen.“
Wieder ins Gespräch kommen
„…dann können wir uns auch jetzt gleich alle wie die Lemminge aus dem Fenster werfen.“ Dieser Satz hallte bei mir nach.
Ich hatte aufgehört für das einzustehen, was ich für richtig halte, weil ich das Gefühl hatte, nichts bewegen zu können. Ich war den anstrengenden Diskussionen aus dem Weg gegangen, weil ich keinen Stress wollte. Glücklicher hatte mich das jedoch auch nicht gemacht.
Also dachte ich nach – darüber, wieso Gespräche über Genderungleichheit am Arbeitsplatz bei mir oft scheitern und wie Frauen, die sich für Geschlechtergerechtigkeit am Arbeitsplatz einsetzen, ihre Argumente so vorbringen können, dass sie zumindest die Chance haben, etwas zu bewegen.
Denn (da bin ich mir sicher!): Damit sich etwas ändern kann, müssen alle mithelfen – auch die Männer.
Argumentationstraining für Geschlechtergerechtigkeit am Arbeitsplatz
Aus meinen Recherchen und Überlegungen entstanden ist ein kurzes Online-Argumentationstraining zum Thema Geschlechterungleichheit am Arbeitsplatz. Das Training soll zum einen in einem möglichst realitätsnahen Szenario (unbewusste) Vorurteile über Geschlechterungleichheit am Arbeitsplatz belegbare Argumente vermitteln und zum anderen (und vielleicht noch viel wichtiger) sollen diese Argumente so vorgebracht werden, dass die Männer in dem Szenario nicht zu Gegnern, sondern zu Verbündeten werden.
Das szenariobasierte Argumentationstraining kannst du auf meiner Website kostenlos durchlaufen.
Chancengleichheit und Geschlechtergerechtigkeit am Arbeitsplatz
Stärke deine Argumentationsfähigkeit mit meinem Online-Training
Eine Chance auf Veränderung
Ich (ich als Individuum, nicht ich als Frau) bin sehr emotional. Besser gesagt: Ich bin ein richtiger Hitzkopf. Das hat wenn überhaupt deutlich mehr mit meiner Nationalität als Tochter eines Sizilianers zu tun als mit meinem Geschlecht, denn wenn mein Vater wütend wird, sehe ich sehr viele Parallelen (wobei meine Mutter auch richtig loslegen kann – ich bin also doppeltbelastet). Wie dem auch sei: Ich bin ein Hitzkopf und dieser Hitzkopf wird mir in Diskussionen über emotional aufgeladene Themen wie die Frauenquote nicht selten zum Verhängnis. Entweder ich bringe meine Argumente mit unverhohlenem Frust über die aktuelle Weltlage vor oder ich werde von meiner Wut so sehr überrollt, dass ich einfach gar keine Argumente, sondern lediglich Anschuldigungen anbringen kann. Und ich glaube, dass es nicht nur mir so geht.
Ich hoffe, dass mein Argumentationstraining diesen Personen dabei hilft, wieder ins Gespräch zu kommen. Und auch ich habe beschlossen, wieder ins Gespräch zu gehen – nicht, weil ich glaube, jeden von meinen Ansichten überzeugen zu können, sondern weil es notwendig ist, zu reden, zuzuhören und gemeinsam nach Lösungen zu suchen, damit wir überhaupt eine Chance auf Veränderung haben.
Vielleicht wird sich in unserer Generation trotzdem nichts ändern. Vielleicht wird sich auch nie etwas ändern. Aber wir sollten zumindest sagen können, dass wir Zeit unseres Lebens versucht haben, etwas zu ändern. Denn sonst – wie meine Cousine richtig gesagt hat – können wir uns gleich wie die Lemminge aus dem Fenster stürzen.
Quellen:
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