„Ist das witzig?“ Der Fall Luke Mockridge

„Es gibt Menschen ohne Beine und ohne Arme, die wirft man ins Becken – und wer als Letzter ertrinkt, der hat halt gewonnen.“ Dieser Witz des deutschen Comedians Luke Mockridge über die Paralympics sorgte in den sozialen Netzwerken jüngst für Empörung. Der Fall zeigt, wie ambivalent, fragil und komplex Komik und der Umgang mit Humor in der Öffentlichkeit sein können. Komik und Humor können verbinden oder spalten, Hierarchien stabilisieren oder untergraben. Ich betrachte den Fall Mockridge aus einer wissenschaftlichen Perspektive unter Rückbezug auf diverse Komiktheorien.

Inhaltsverzeichnis

Ist das witzig?

„Es gibt Menschen ohne Beine und ohne Arme, die wirft man ins Becken – und wer als Letzter ertrinkt, der hat halt gewonnen.“

„Es gibt Menschen ohne Beine und ohne Arme, die wirft man ins Becken – und wer als Letzter ertrinkt, der hat halt gewonnen.“

Dieser Witz des deutschen Comedians Luke Mockridge über die Paralympics sorgte in den sozialen Netzwerken jüngst für Empörung. Und der öffentliche Aufruhr hatte auch Konsequenzen: Sat.1 sagte die Ausstrahlung einer geplanten Show mit Mockridge ab.

Der Fall Luke Mockridge zeigt, wie ambivalent, fragil und komplex Komik und der Umgang mit Humor in der Öffentlichkeit sein können. Komik und Humor können verbinden oder spalten, Hierarchien stabilisieren oder untergraben, und wie in diesem Fall auch echten Schaden anrichten.

Warum genau aber ist Mockridges Witz so grandios gescheitert? Werfen wir einen Blick in die Forschung.

Hans Robert Jauss: Auslachen vs. Mitlachen

Lange Zeit versuchte man zu klären, wann Komik bestätigend (affirmativ) und wann sie herausfordernd (subversiv) ist. Dazu wurde zwischen „Auslachen“ und „Mitlachen“ unterschieden. Hans Robert Jauss hat sich in seinen Untersuchungen, „Über den Grund des Vergnügens am Komischen Helden“, intensiv mit diesem Thema beschäftigt.

Funktionen des komischen Helden

Laut Jauss gibt es drei Funktionen des komischen Helden:

  1. Komik als heitere Entlastung (affirmativ): Sie bestätigt bestehende Normen und Ideen.
  2. Komik als Protest (destruktiv): Sie kann gegen Autorität gerichtet und destruktiv sein.
  3. Komik als Solidarität (subversiv): Sie kann dazu beitragen, neue Normen zu schaffen, indem sie Ausgegrenzte einbezieht.

Im Fall Luke Mockridge wäre der Witz über die paralympischen Schwimmer der ersten Kategorie zuzuordnen – er sollte der heiteren Entlastung dienen, bestätigt dabei aber diskriminierende Vorurteile und Stereotypen gegenüber Menschen mit Behinderung.

Herabsetzung vs. Heraufsetzung

Des Weiteren unterscheidet Jauss zwischen zwei Arten von Komik, die für den Fall Luke Mockridge relevant sind:

  1. Komik der Herabsetzung: Diese Art schert sich nicht um die Würde oder Verdienste einer Person. Sie kann bestehende Hierarchien umkehren und dem Helden eine komische Situation aufzwingen. Diese Komik erzeugt oft ein Überlegenheitsgefühl gegenüber dem Helden.
  2. Komik der Heraufsetzung: Diese Art hebt das Materielle und Leibliche der menschlichen Natur auf ein Niveau, das das Publikum einbezieht und Solidarität erzeugt.

Jauss nennt die komische Herabsetzung als eine Art des „Lachen über“, während die Heraufsetzung als „Lachen mit“ bezeichnet wird. Die Komik der Heraufsetzung wirkt distanzaufhebend, inkludierend und befreiend, während die Komik der Herabsetzung als Komik des Verlachens distanzschaffend und exkludierend ist. „Lachen mit“ ist für ihn ein lachendes Einvernehmen zwischen allen Beteiligten – Held und Rezipienten – impliziert, da die handelnde Person sich über Moralvorstellungen, Normen und Tabus hinwegsetzt, während das „Lachen über“ hingegen zu einem Gefühl der Überlegenheit und zur Verbündung der Lachenden gegen den oder die Verlachten führt.

Mockridges Witz ist gemäß Jauss’ Kategorisierung als Komik der Herabsetzung, als ein „Lachen über“, einzuordnen und ist damit distanzschaffend, exkludierend und von oben herab.

Hans Robert Jauss über die Komik der Herabsetzung:

„Die Komik der Herabsetzung schert sich nicht um Würde und Verdienst einer Person, ihr Mechanismus durchschlägt die Konventionen der Moral wie der poetischen Gerechtigkeit: Wir lachen über den zu Fall gekommenen Helden, bevor wir fragen können, ob er es verdient hat, dass ihm der Fuß gestellt wurde. (...) Die Versetzung des Helden in eine komische Situation löst den Bann der admirativen Identifikation und lässt den lachenden Betrachter einen Moment der Überlegenheit und Unbetroffenheit gegenüber dem ihm sonst überlegenen, betroffenen Helden genießen.“

Hans Robert Jauss und der Fall Luke Mockridge

Mockridges Äußerungen lassen sich gut mit Jauss’ Komiktheorie in Verbindung bringen. Der Witz war gedacht als eine Form der heiteren Entlastung, wirkt dadurch jedoch affirmativ und bestätigt diskriminierende und stigmatisierende Tendenzen gegenüber Menschen mit Behinderung. Es ist ein „Lachen über“, eine Form der Herabsetzung, kein „Lachen mit.“

Als Kritik an Jauss’ Überlegungen weist Stefan Horlacher jedoch darauf hin, dass „Lachen über“ immer auch ein „Lachen mit“ impliziert:

„What has to be noted, however, is that the ‚laughing-at-position‘ implies a ‚laughing-with-position‘ insofar as laughing at someone who transgresses a norm always requires the implicit acceptance of and identification with the norm. Thus either we laugh at someone and therefore with the norm or, if the norm is felt to be absurd or obsolete, we laugh at the norm and with the transgressor. From this it follows that either the transgressor or the transgressed norm is being denigrated and consequently […] that the widespread but simplistic differentiation between ‚laughing-at-position‘ and a ‚laughing-with-position‘ is not a particularly pertinent one but much more one of perspective and hierarchy.“

Die Unterscheidung in Auslachen und Mitlachen ist somit ein Konstrukt, denn beide Phänomene gehen stets Hand in Hand. Zielführend für die Untersuchung des Falls Mockridge ist jedoch Jauss’ Unterscheidung in Inklusion und Exklusion – eine Differenzierung, die auch von der Literaturwissenschaftlerin Janet Bing aufgegriffen wird.

Janet Bing: Exkludierende vs. inklusive Komik

Janet Bing beschäftigt sich in „Is Feminist Humor an Oxymoron?“ mit feministischer Komik und geht der Frage nach, welche Art von Witzen am effektivsten Systeme der Unterdrückung und Ausnutzung verändern können. Bings Anliegen ist es somit, subversive Komik zu erkennen und von affirmativer und/oder destruktiver Komik unterscheiden zu können. Sie identifiziert dabei vier Effekte der Komik:

Vier Komikeffekte nach Janet Bing

  1. Komik kann Hierarchien aufrechterhalten. In diesem Fall reflektiert und bekräftigt die Komik bereits existierende Hierarchien und hilft dabei, den Status Quo beizubehalten (sog. reinforcing humor).
  2. Komik kann dabei helfen, Hierarchien zu subvertieren. In diesem Fall wird der Status Quo angefochten und in Frage gestellt (sog. subversive humor oder auch contestive humor).
  3. Komik kann dabei helfen, eine Gemeinschaft zu etablieren. In diesem Fall unterstützt die Komik Personengruppen, die weniger Macht haben, dabei, mit schwierigen oder unterdrückenden Situationen klarzukommen. Die Komik schafft hier das Gefühl von Solidarität in der Gruppe (sog. coping humor).
  4. Komik kann Grenzen und Stereotype verstärken. Wenn Komik zu Kosten der sich außerhalb der Gruppe befindenden geht, wird das Gefühl von Solidarität in der Gruppe zwar gestärkt, gleichzeitig werden aber auch Differenzen betont und dadurch Grenzen zwischen der Gruppe und den Außenstehenden verfestigt – häufig, indem Stereotype aufgegriffen werden (sog. divisive humor).

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Janet Bing und der Fall Luke Mockridge

Laut Bing wollen feministische Witze zwar häufig Veränderung anstreben (Effekt 2), grenzen jedoch in ihrer Frauengemeinschaften stiftenden Form (Effekt 3) oftmals Männer aus (Effekt 4). In diesem Fall können feministische Witze, die sich ganz explizit gegen Männer richten, Stereotype und Grenzziehungen zwischen Männern und Frauen im Zweifel noch weiter intensivieren, was wiederum Sexismus stärkt, der auf einer rigiden Trennung zwischen Männern und Frauen aufbaut.

Sieht man sich den Fall Luke Mockridge an, so wird klar, dass genau dieses Problem auch hier aufgekommen ist und vor allem der vierte Komikeffekt nach Bing in Kraft getreten ist: Mockridges Komik ging zu Kosten der sich außerhalb seiner Gruppe befindenden Menschen mit Behinderung. Sein Witz hat Differenzen betont und dadurch Grenzen zwischen der Gruppe und den Außenstehenden verfestigt.

Inklusive Komik – Wer/was wird ausgelacht und mit wem/was wird mitgelacht?

Für Bing sind es die zweiten Komikeffekte des contestive oder subversive humor, die das Potenzial haben, Veränderungen zu bewirken und bestehende, diskriminierende Systeme und Normen zu hinterfragen.

Im Falle ihres Untersuchungsgegenstands, der feministischen Komik, bedeutet dies: Während bei ausgrenzenden feministischen Witzen Männer die Zielscheibe der Komik bilden, dürfen bei inkludierenden feministischen Witzen alle mitlachen. Die Zielscheibe der Komik ist keine Person oder Personengruppe, sondern das frauenunterdrückende System. Inklusive feministische Komik impliziert damit nicht den Glauben, Männer seien bösartige und bewusst Frauen unterdrückende Menschen. Vielmehr verbirgt sich hinter inkludierenden feministischen Witzen die Annahme, dass Männer ihre Ansichten und Einstellungen ändern würden, wenn ihnen die Situation der Frauen nur begreifbar gemacht werden würde.

Anders als Jauss stellt sich Bing weniger der Frage, ob ausgelacht oder mitgelacht wird, sondern vielmehr scheint die Frage zu lauten: Wer/was wird ausgelacht und mit wem/was wird mitgelacht?

So gelingt inklusive Komik – Ein Beispiel

Ein Beispiel für gelungene inklusive Komik findet sich in diesem Post des bekannten Inklusions-Aktivisten Raul Krauthausen:

Raul Krauthausen Beispiel für inklusive Komik
Beispiel für inklusive Komik von Raul Krauthausen

Krauthausen ist selbst Rollstuhlfahrer. In seinem Post macht er sich jedoch nicht über andere lustig, sondern einzig und allein über die Absurdität der Toiletten-Infrastruktur in vielen Lokalitäten.

Einen solchen Witz hätte auch Luke Mockridge als Nicht-Rollstuhlfahrer problemlos in sein Programm aufnehmen können – und hätte damit sicher auch Gelächter und keine Empörung und Show-Absage geerntet.

Quellen:

Bing, Janet. „Is Feminist Humor an Oxymoron?“ Women & Language 27/1, 2004, 22–33.

Horlacher, Stefan. „A Short Introduction to Theories of Humor, the Comic, and Laughter“ In: Gender and Laughter, hg. von Gaby Pailer et al., Amsterdam, New York: Rodopi, 2009, 17–47.

Jauss, Hans Robert. „Über den Grund des Vergnügens am komischen Helden“ In: Das Komische, hg. von Wolfgang Preisendanz, München: Fink, 1976, 103–132.

Bilder: 

„Standup Comedy“ copyright @pixabay (Tumisu)

„Comedy-Mikro“ copyright @pixabay (Tumisu)

„Beispiel für inklusive Komik“ @Raul Krauthausen (LinkedIn-Post vom 12.09.2024)

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