Kann ich Kreativität lernen?
Kreativität als zentrale berufliche Fähigkeit
Um neue Songs zu komponieren, Bilder zu gestalten und Romane zu schreiben benötigen Musiker, Maler und Schriftsteller eine zentrale gemeinsame Fähigkeit: Kreativität. Aber auch in Berufen, die auf den ersten Blick nichts mit Kunst zu tun haben, ist Kreativität essenziel. Für Ingenieuren, die innovative Lösungen entwerfen, bis hin zu Marketingprofis, die neuartige Kampagnen entwickeln – die Fähigkeit, originell zu denken und neue Ideen zu generieren, gehört für sehr viele Berufsgruppen zum Arbeitsalltag.
Aber kann ich Kreativität für meinen Berufsalltag erlernen?
Kreativität als erlernbare berufliche Fähigkeit
Es ist ein weit verbreiteter Mythos, dass kreative Ideen einem auf magische Art und Weise zufliegen würden. Kreativität ist eine Fähigkeit, die geschult werden kann und geübt werden muss, um sich zu entfalten.
Ein für mich persönlich bisher sehr fruchtbarer Weg, um meinen eigenen kreativen Arbeitsprozess zu fördern, ist das bewusste Überschreiten von Grenzen verschiedener Fachgebiete und Disziplinen. Zum Beispiel beschäftige ich mich von Romanen über wissenschaftliche Literatur bis hin zu Sachbüchern mit sehr unterschiedlicher Literatur und versuche sie auf meine aktuelle Situation oder Problemstellung zu übertragen. Kurzum: Ich übe mich im Transferdenken. Und eine Quelle, mit der ich mich aktuell stark beschäftigt habe, ist Rick Rubins The Creative Act: A Way of Being.
"Creativity doesn’t exclusively relate to making art. We all engage in this act on a daily basis. To create is to bring something into existence that wasn’t there before.”
(Rick Rubin)
Kreativitätstechniken für den Arbeitsalltag von Rick Rubin lernen
Rick Rubin ist ein amerikanischer Musikproduzent und gilt als eine der zentralsten Figuren in der Entwicklung der modernen Musikindustrie. Er hat Alben für Künstler sehr unterschiedlicher Genres produziert, darunter Johnny Cash, Red Hot Chili Peppers, Metallica, Jay-Z und Adele. Was aber hat die Arbeit eines amerikanischen Musikproduzenten mit dem Alltag regulärer Arbeitnehmer zu tun? Turns out: sehr viel. Die Erläuterungen aus seinem Buch The Creative Act: A Way of Being sind aus meiner Sicht für alle wertvoll, die sich in ihrer Arbeit mit Ideenfindung, kreativer Problemlösung und Innovation beschäftigen – und ich zeige euch auch, weshalb.
In diesem Blogbeitrag erläutere ich Rick Rubins Kreativitätsansatz und stelle 8 der aus meiner Sicht besonders hilfreichen Erkenntnisse aus The Creative Act: A Way of Being als Kreativitätstechniken vor.
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Was ist Kreativität?
Kreativität als Haltung und Lebensweise
Wer Kreativität nach Rick Rubin lernen möchte, muss zunächst seinen zugrunde liegenden Kreativitätsansatz verstehen. Diesen bringt Rubin bereits im Titel seines Buches auf den Punkt: „The creative act“, also das kreative Schaffen, ist ein „way of being“ – eine Lebensweise.
Rubin beschreibt den kreativen Schaffensprozess als eine ganzheitliche Art des Seins, die weit über das reine Erzeugen von Kunst hinausgeht. Für ihn ist Kreativität nicht nur ein Werkzeug, das wir bei Bedarf einsetzen, sondern eine Haltung und Lebensweise, die wir kontinuierlich kultivieren müssen.
“To live as an artist is a way of being in the world. A way of perceiving. A practice of attention. Refining our sensitivity to tune in to the subtle notes. Looking for what draws us in and what pushes us away. Noticing what feeling tones arise and where they lead.”
schreibt Rubin. Eine kreativitätsfördernde Lebensweise zu kultivieren, bedeutet für ihn in erster Linie die eigene Aufmerksamkeit zu schärfen.
Kreativer Fundus und Filter
Kreativität ist für Rubin also eine Art des Seins, eine besondere Art der Wahrnehmung, die Form der zielgerichteten Aufmerksamkeit.
Mit Hilfe dieser Aufmerksamkeit, so Rubin, können wir über die Zeit hinweg einen reichen Fundus an Erfahrungen und Eindrücken aufbauen, auf den wir zurückgreifen und aus dem wir diejenigen Elemente auswählen können, die für den aktuellen kreativen Schaffensprozess relevant sind. Rubin erklärt diesen Ansatz mit einer Fundus-Filter-Analogie:
“One can think of the creative act as taking the sum of our vessel’s contents as potential material, selecting for elements that seem useful or significant in the moment, and representing them.”
In unserem kreativen Schaffensprozess filtern wie also aus unserem Erfahrungsfundus die relevanten Elemente heraus, kombinieren und repräsentieren sie.
“One can think of the creative act as taking the sum of our vessel’s contents as potential material, selecting for elements that seem useful or significant in the moment, and representing them.”
In unserem kreativen Schaffensprozess filtern wie also aus unserem Erfahrungsfundus die relevanten Elemente heraus, kombinieren und repräsentieren sie.
Kreative Arbeit
Ein Großteil des Lernens von kreativer Arbeit besteht nach Rick Rubin somit darin
- die eigene Aufmerksamkeit zu schärfen und auf die feinen, oft übersehenen Details zu achten, die uns inspirieren und leiten können und dadurch einen Fundus aufzubauen (Aufmerksamkeit)
- Unsere Fähigkeit zu stärken, relevante Elemente aus dem Fundus auszuwählen, zu filtern und zu verbinden (Kombinatorik)
Wie aber schult man diese beiden, für das kreative Arbeiten zentralen Aspekte Aufmerksamkeit und Kombinationsfähigkeit in der Praxis? Wie übt man Kreativität?
Einen kleinen Einblick in Rubins Herangehensweise liefern die nachfolgenden 8 Kreativitätstipps.
“Material for our work surrounds us at every turn. It’s woven into conversation, nature, chance encounters, and existing works of art. When looking for a solution to a creative problem, pay close attention to what’s happening around you. Look for clues pointing to new methods or ways to further develop current ideas.”
(Rick Rubin)
8 Kreativitätstipps von Rick Rubin
Achte auf deine Umgebung und suche nach Hinweisen
Lösungen können auch dort gefunden werden, wo man sie am wenigsten erwartet – in Gesprächen, der Natur oder zufälligen Begegnungen. Kreativität entsteht, wenn wir unsere Umgebung bewusst wahrnehmen und auf kleine Hinweise achten, die uns neue Ideen oder Ansätze liefern können.
Tipp von Rick Rubin: Schlage ein Buch zufällig auf einer Seite auf und nutze die erste Zeile als Inspiration. Was hat dieser Satz mit deiner aktuellen Situation zu tun? Mit dieser Übung schulen wir unsere Wahrnehmung und unser Transferdenken gleichermaßen. Probiere es am besten direkt einmal aus!
“A practice is the embodiment of an approach to a concept. This can support us in bringing about a desired state of mind. When we repeat the exercise of opening our senses to what is, we move closer to living in a continually open state. (…) To support our practice we might set up a daily schedule, where we engage in particular rituals at specific times every day or week.”
(Rick Rubin)
Übung macht den Meister
Übung macht den Meister – das gilt auch für Kreativität. Durch regelmäßige Übung lässt sie sich gezielt fördern. Dabei kann es hilfreich sein, feste Zeiten für kreative Aktivitäten einzuplanen, um den Geist auf neue Ideen vorzubereiten. Eine täglich oder wöchentlich fest eingeplante Praxis – sei es Brainstorming, das Skizzieren von Ideen oder das bewusste Reflektieren über Projekte – fördert den kreativen Fluss im Arbeitsalltag. Durch die Wiederholung dieser Rituale wird es leichter, in einen offenen, kreativen Zustand zu gelangen.
“Submerge yourself in the canon of great works. (…) The objective is not to mimic greatness, but to calibrate our internal meter for greatness. So we can better make the thousands of choices that might ultimately lead to our own great work.”
(Rick Rubin)
Lerne von den Meistern
Ob in der Kunst, Literatur oder in deiner eigenen Branche – das Studium von herausragenden Arbeiten hilft dabei, deinen Maßstab für Exzellenz zu setzen. Dabei geht es nicht darum, Werke anderer zu kopieren, sondern darum, ein Gespür für Qualität und Exzellenz im eigenen Arbeitsumfeld zu entwickeln.
“It’s common to believe that life is a series of external experiences. And that we must live and outwardly extraordinary life in order to have something to share. The experience of our inner world is often completely overlooked. If we focus on what’s going on inside ourselves – sensations, emotions, the patterns of our thoughts – a wealth of material can be found.”
(Rick Rubin)
Nutze deine innere Welt als Ressource
Wir konzentrieren uns oft so sehr auf äußere Reize, dass wir die Kraft unserer inneren Welt vergessen. Gefühle, Erinnerungen und Gedankenmuster sind starke Impulse für kreative Prozesse. Diese Innenwelt kann gezielt für kreative Problemlösungen genutzt werden, wenn wir auf unsere inneren Vorgänge achten.
Tipp von Rick Rubin: Führe ein Traum- und Gedankentagebuch. Notiere spontane Gedanken oder Träume, idealerweise direkt nach dem Aufwachen. So kannst du unbewusste Gedankenquellen erschließen, die sonst im Alltag schnell verloren gehen.
“Distraction is one of the best tools available to the artis when used skillfully. (…) Distraction is not procrastination. Procrastination consistently undermindes our ability to make things. Distraction is a strategy in service of the work. (…) Sometimes disengaging is the best way to engage.”
(Rick Rubin)
Lass dich auch mal ablenken
Ablenkung ist laut Rubin nicht gleichzusetzen mit Prokrastination. Prokrastination blockiert uns. Ablenkung dagegen kann kreative Blockaden lösen. Wer in seinem Schaffensprozess feststeckt, der kann mit einfachen Tätigkeiten wie Malen nach Zahlen oder ein Spaziergang dem Gehirn die Möglichkeit geben, sich zu entspannen, während es im Hintergrund an Lösungen arbeitet. Ablenkungen können dann dabei helfen, frische Perspektiven zu gewinnen und mit neuer Energie an kreative Aufgaben heranzugehen.
“The templates of the past can be an inspiration in the beginning phases, but it’s helpful to think beyond what’s been done before. The world isn’t waiting for more of the same. Often, the most innovative ideas come from those who master the rules so such a degree that they can see past them or from those who never learned them at all.”
(Rick Rubin)
Hinterfrage und breche die Regeln
Regeln und Standards geben uns Struktur. Doch Innovation entsteht oft, wenn wir den Mut haben, den Status Quo zu hinterfragen. Manchmal kommen die besten Ideen, wenn man die üblichen Vorgaben verlässt oder neue Wege geht. Probiere unkonventionelle Ansätze in deiner Arbeit aus und experimentiere mit Alternativen. Auch wenn ein Experiment nicht den gewünschten Erfolg bringt, kannst du wertvolle Erkenntnisse gewinnen, die dir langfristig helfen werden.
“Formulating an opinion is not listening. Neither is preparing a response, or defending our position or attacking another’s. To listen impatently is to hear nothing at all. Listening is suspending disbelieve. We are openly receiving. Paying attention with no preconceived ideas.”
(Rick Rubin)
Höre richtig zu
Echtes Zuhören bedeutet, sich voll und ganz auf das Gegenüber oder das Problem zu konzentrieren, ohne sofort eine Antwort parat zu haben. Dabei geht es darum, sich nicht vorschnell eine Meinungen zu bilden oder direkt Lösungswege zu suchen, noch bevor man die Informationen wirklich aufgenommen hat. Wer mit offenem Geist zuhört, kann oft ungeahnte Impulse und kreative Ideen gewinnen, die in schnellen Reaktionen verloren gegangen wären. Achte im nächsten Meeting einmal auf deine eigene Fähigkeit, wirklich und aufmerksam zuzuhören. Du wirst merken: Es ist gar nicht so einfach.
“We often take shortcuts without knowing it. When listening, we tend to skip forward and generalize the speaker’s overall message. And our worldview continues to shrink.”
(Rick Rubin)
Sei geduldig
Im Alltag versuchen wir oft, im Sinne der Effizienz schneller voranzukommen, indem wir Abkürzungen nehmen oder Prozesse vereinfachen. Und unsere schnelllebige Welt bietet uns dazu auch jede Menge Gelegenheiten. Ein Lieblingsbeispiel von mir ist blinklist: In der App werden Büchner in 15-minütigen Audios zusammengefasst. Wenn ich also jeden Tag blinklist-Zusammenfassungen höre, bin ich dann genauso schlau, als hätte ich das Buch gelesen? Ich denke nicht. Eine tiefgreifende Auseinandersetzung mit einem Thema erfordert Geduld und Achtsamkeit. Es gibt keine Abkürzungen. Schnelle Lösungen mögen kurzfristig attraktiv sein, aber wahre Innovation entsteht durch ein Eintauchen in ein Themenfeld und das sorgfältige Entwickeln von Ideen.
In der Kreativität gibt es keine Abkürzung
Rick Rubins The Creative Act: A way of being ist ein echter Kreativitätsfundus. Dabei sind es nicht nur Rubins Gedankengänge, Erkenntnisse und Tipps, die für Kreativitätsarbeitende relevant sind, sondern das Lesen seines Buchs an sich ist, als Erfahrung, kreativitätsfördernd. Ich kann also jedem, für dessen Arbeit Ideenentwicklung, Konzeption und Kreativität zentral sind, nur wärmstens empfehlen, das Buch zu lesen – und zwar im und als Ganzes. Denk daran: Es gibt keine Abkürzungen.
Quellen:
Rubin, Rick: „The Creative Act: A Way of Being.“ Penguin Press: 2023.
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