„Es ist doch nur ein Film!“

Popkulturelle Repräsentationen wie Filme und Serien sind keine unschuldigen Spiegelbilder unserer Welt. Sie sind mit Bedeutungen aufgeladene Konstrukte, die unser Denken und Handeln beeinflussen. Umso wichtiger ist eine kritisch-reflexive Medienkompetenz – auch im Erwachsenenalter.

Inhaltsverzeichnis

Filmanalyse als Beitrag zur Medienkompetenzförderung

Dass ich nach meinem Abitur erst Theater- und dann Filmwissenschaft studiert und in diesem Fachbereich sogar promoviert habe, können viele in meinem Umfeld nicht so richtig nachvollziehen. Ihnen erscheint meine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Filmen und Serien weltfremd. Sie verstehen nicht, welchen Nutzen es haben sollte, popkulturelle Repräsentationen zu analysieren. Damit sind sie nicht allein, denn in der Tat wird Filmwissenschaft sehr oft als Orchideenfach wahrgenommen.

Ich kann diese Verständnislosigkeit gut nachvollziehen. Aber tatsächlich empfinde ich meine wissenschaftliche Arbeit als sehr sinnstiftend und durchaus weltbezogen, denn: Ich leiste einen Beitrag zur gesellschaftlichen Medienkompetenzbildung.

Was ist Medienkompetenz?

Wie bei den meisten Fachbegriffen ist auch die Definition von Medienkompetenz viel diskutiert worden. Bedeutet im Klartext: Es gibt viele, teilweise sehr unterschiedliche Vorstellungen davon, was Medienkompetenz eigentlich ist. Im Kern geht es in allen Definitionen aber um die Fähigkeit souverän mit Medien umzugehen und dafür braucht es primär drei Kompetenzen:

  1. Medienkompetenz als Fähigkeit Medien bedienen zu können: Kompetenz technische Medien, wie beispielsweise ein Handy, bedienen zu können
  2. Medienkompetenz als Wissen über das Mediensystem und seine Regeln: Wissen über z.B. die Unterscheidung in öffentlich-rechtlichen Rundfunk, Bildrechte im Internet, DGVO u.v.m.
  3. Medienkompetenz als kritische Medienreflexionskompetenz: Fähigkeit, Medien und deren Inhalte zu hinterfragen und kritisch einzuordnen

In diese letzte Medienkompetenzdefinition ordne ich auch meine eigene filmwissenschaftliche Arbeit ein.

Medienkompetenz Visualisierung von Laura Fazio
Medienkompetenz besteht aus 3 Fähigkeiten

Filmwissenschaft als kritische Medienreflexion

Filmwissenschaft untersucht Filme und Serien multiperspektivisch und interdisziplinär. Das bedeutet zum einen, dass man sich mit Filmen und deren Entstehungsbedingungen aus mehreren Blickwinkeln befasst und nicht nur ihre Ästhetik, sondern z.B. auch historische oder technische Hintergründe aufarbeitet. Zum anderen bedeutet es, dass die Methoden und das Wissen aus anderen Wissenschaftsdisziplinen genutzt werden, um z.B. Auswirkungen von Filmen aus sozialer, politischer oder kultureller Perspektive zu untersuchen.

Schon von Beginn meines Studiums an, habe ich mich sehr für die Frage nach der Wirkungsmacht von Filmen interessiert und dafür, wie Filmwissenschaftler diese Frage aus unterschiedlichen Perspektiven versucht haben zu beantworten: Von der Anknüpfung an Forschungsergebnissen zu neuronalen Gehirnfunktionen über psychoanalytische Verstehensmodelle ist hier viel Spannendes dabei.

Letzten Endes bin ich dann jedoch dazu übergegangen, Filme primär aus kultur- und sozialwissenschaftlichen Perspektiven zu untersuchen. Die Frage, die dabei immer wieder in unterschiedlicher Form für mich aufkommt, ist:

  • Welche Rolle spielen Filme für die Realitätsvorstellungen und Weltbilder ihrer Zuschauer?
  • Oder auch: Welche Folgen haben filmische Darstellungen für die Einstellungen, Werte und Überzeugungen ihrer Zuschauer?

Und hier beginnt die kritische Medienreflexion, denn: Filme und Serien sind popkulturelle Repräsentationen und beeinflussen als solche uns und unsere Weltvorstellungen enorm.

"Es ist doch nur ein Film!"

Filme und Serien als unschuldige Repräsentationen?

Jetzt mag man einwenden, dass wir uns hier immer noch nur über Filme und Serien unterhalten, also über fiktionale Unterhaltungsformate. Die Medienkompetenz einen Film von der Realität unterscheiden zu können, hat im Grunde jeder. Aber die wenigsten sind sich darüber im Klaren, wie sehr uns selbst klar als fiktiv ausgewiesene Darstellungen beeinflussen können.

Widmen wir uns zur Erklärung dem Begriff „Repräsentation“. Diesen kennzeichnen zwei unterschiedliche, aber gleichzeitig ineinandergreifende Definitionen:

  1. Einerseits bedeutet repräsentieren, etwas darzustellen oder zu beschreiben. In diesem Sinne ist jegliche Form der Repräsentation eine Re-Präsentation, sprich eine neue Präsentation und damit keine bloße Spiegelung von etwas Vorhandenem.
  2. Auf der anderen Seite bedeutet Repräsentieren aber auch Symbolisieren oder Ersetzen, stellvertretend für etwas stehen. Wenn eine Repräsentation kein einfaches Symbol, sondern gleichsam auch ein Konstrukt ist, so sind auch die durch und mit ihr generierten Bedeutungen keine reinen Abbildungen, sondern steuerbare Konstrukte.

Wenn man also erkennt, dass Repräsentationen zum einen keine Spiegelbilder, sondern mit eigenen Bedeutungen aufgeladene Konstrukte sind und dass diese Konstrukte zum anderen eine Stellvertreterfunktion haben, wird schnell klar, dass auch popkulturelle Repräsentationen wie Filme und Serien niemals unschuldig sein können.

Einer meiner Lieblings-Wissenschaftler, Niall Richardson, bringt es auf den Punkt, wenn er schreibt:

“(R)epresentations are never innocent. They do not just suddenly happen by accident – but are always a construct in accordance with a specific set of politics and ideas” (Nial Richardson)

“Popkulturelle Repräsentationen wie Filme und Serien sind niemals unschuldig. Sie haben einen großen Einfluss auf unsere Werte, Normen und Identität.“

Medienwirkungsbeispiel: Repräsentation von Übergewicht in Filmen

Um zu verstehen, welche kritisch zu reflektierende Wirkungsmacht fiktionale Unterhaltungsangebote wie Filme und Serien haben, hilft ein Beispiel:

In meiner Doktorarbeit „(Ge)wichtige Körper“ habe ich mich der Repräsentation von weiblichem Übergewicht in Film und Serien gewidmet. Unsere gesellschaftlichen Schönheitsideale sind hier so allgegenwärtig vertreten, dass es zu einer medialen Normverschiebung gekommen ist: untergewichtige Frauenkörper sehen wir statistisch gesehen am häufigsten, übergewichtige Frauenkörper sind die Ausnahme und dazwischen gibt es wenig Variation. Außerdem werden gewichtige Frauenfiguren auch gänzlich anders repräsentiert, nämlich in der Regel stark stereotyp und vor allem stigmatisierend.

Picken wir uns hierzu mit der nachfolgenden Filmszene aus „Der Tod steht ihr gut“ von 1992 mal ein zwar etwas älteres, aber dafür besonders eindringliches Filmbeispiel heraus. Kurz zum Hintergrund der Szene: In Robert Zemeckis Komödie wird die unscheinbare Schriftstellerin Helen Sharp (Goldie Hawn) der attraktiven und erfolgreichen Broadway-Schauspielerin Madeleine Ashton (Meryl Streep) gegenübergestellt. Als Madeleine Helens Verlobten (Bruce Willis) stiehlt, geht das mittelmäßige Leben der Schriftstellerin vollends in die Brüche:

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Während eine Einblendung dem Zuschauer kommuniziert, dass seit dem Vorfall sieben Jahre vergangen sind, präsentieren die Filmbilder gleichzeitig eine körperlich vollkommen verwandelte Helen, die dick geworden ist, ungepflegt und zerzaust in einer von Katzen und Müll überfluteten Wohnung haust und beim Fernsehen mit bloßen Händen Eiscreme aus einer Dose isst. Helens Figurencharakterisierung als hässliche und heruntergekommene Frau wird dabei auch durch die filmische Inszenierung an das Thema Übergewicht gekoppelt: Das erste Bild, das wir von der verwandelten Helen zu Gesicht bekommen, ist eine Nahaufnahme ihres Gesäßes. Anschließend folgen wir ihr in Rückenansicht bei ihrem schwerfälligen Gang in die Küche. Erst als sie dort eine Dose aus dem Regal nimmt und sich im Umdrehen die erste Handvoll Eis in den Mund schiebt, sehen wir ihr Gesicht und erkennen, dass der übergewichtige und zunächst gesichtslose Körper zu Helen gehört.

Das Filmbeispiel aus „Der Tod steht ihr gut“ zeigt damit eindrücklich, dass die Darstellung der übergewichtigen Helen keine unschuldige Präsentation, sondern eine mit Bedeutung aufgeladene Repräsentation ist: Wer dick ist, ist unglücklich, faul und ungepflegt – so die Message.

Goldie Hawn als Helen im Fat Suit in Der Tod steht ihr gut
Goldie Hawn als "Helen" in "Der Tod Steht ihr gut"

Plädoyer für mehr kritische Medienkompetenzbildung für Erwachsene

Identitätsstiftende Medienangebote

Popkulturelle Repräsentationen beeinflussen uns in unserem Denken und Handeln. Sie sind identitätsstiftend.

Das Filmbeispiel „Der Tod steht ihr gut“ und die mediale Repräsentation von Übergewicht im Allgemeinen zeigen aber auch, inwiefern problematische und kritisch zu reflektierende Normen und Werte über Filme und Serien verbreitet werden, die dann wiederum problematischen Einfluss auf unsere Identitätsbildung haben können.

„Popkulturelle Repräsentationen können problematische und kritisch zu reflektierende Normen und Werte verbreiten, die dann wiederum problematischen Einfluss auf unsere Identitätsbildung haben. Bestimmte Repräsentationen von Übergewicht in Filme und Serien können zum Beispiel zu einer verzerrten Körperwahrnehmung führen, sodass wir uns als zu dick empfinden.“

Negative Medienwirkungen

Der Medienwissenschaftler Christian Schemer beispielsweise hat aus zahlreichen Studienergebnissen zu den Effekten des Medienkonsums auf Individuen insgesamt 6 negative Medienwirkungen im Bereich der Körperwahrnehmung herausgearbeitet, nämlich:

1. Verzerrte Wahrnehmung des eigenen Körpers als zu dick

2. Geringere Zufriedenheit mit dem eigenen Körper

3. Negative Gefühle wie Schuld, Scham oder depressive Stimmung

4. Geringere Einschätzung der eigenen Attraktivität

5. Geringeres körperbezogenes Selbstwertgefühl

6. Ausgeprägtes Schlankheitsbedürfnis

Und diese Medienwirkungen können uns alle betreffen!

„Wir brauchen eine ganzheitlicherer Medienkompetenzbildung, die nicht nur die Mediennutzung und das Wissen über das Mediensystem, sondern auch kritisch-reflexive Medienkompetenz einschließt – und das nicht nur in der Kinder- und Jungendbildung, sondern auch in der Erwachsenenbildung.“

ganzheitliche Medienkompetenzförderung in der Erwachsenenbildung

Trotz problematischer Repräsentationen und Medienwirkungen für Erwachsene werden mit Angeboten zur kritisch-reflexiven Medienkompetenzbildung immer noch primär Kinder und Jugendliche als Zielgruppe adressiert. Im Bereich der Erwachsenenbildung sind solcherlei Medienkompetenzfortbildungen spärlich vorzufinden und wenn dann fokussieren sie sich meist primär auf den kritischen Umgang mit Nachrichtenquellen (Stichwort: Fake News).

Meiner Meinung nach braucht es hier eine ganzheitlichere Medienkompetenzförderung, die neben Social Media Kanälen auch popkulturelle Repräsentationen wie Filme und Serien stärker mit einbezieht – und das eben nicht nur in der Kinder- und Jugendbildung, sondern auch in der Erwachsenenbildung.

Auf politischer Ebene ist diese Notwendigkeit bereits erkannt von, z.B. der Europäischen Kommission (Digitale Agenda für Europa) und dem Deutschen Volkshochschulverband als Träger der Digitalen Agenda der Bundesregierung.

Mich beschäftigt jedoch aktuell die Frage, wo mit dieser kritisch-reflexiven Medienkompetenzbildung sinnvoll angesetzt werden kann, denn: Die Nachfrage bestimmt immer noch das Angebot. Und auch die beiden Medienwissenschaftler Jan Hellriegel und Matthias Rohs zeigen in „Medienkompetenzförderung als Auftrag der öffentlichen Erwachsenenbildung – Zwischen funktionaler Anpassung und kritischer Reflexion“, dass z.B. die Volkshochschulen nur wenig zu diesem Thema anbieten, grade weil vermutlich die Nachfrage schlichtweg zu gering ist.

Trotzdem bleibe ich bei meiner Meinung, dass gerade eine Förderung dieser kritisch-reflexiven Kompetenz enorm wichtig wäre. Die Frage, wo eine solche Kompetenzförderung sinnvoll in der Erwachsenenbildung verankert werden könnte, habe ich noch nicht abschließend klären können. Aber ich bleibe am Ball…

Quellen:

Hellriegel, Jan/Rohs, Matthias (2023): Medienkompetenzförderung als Auftrag der öffentlichen Erwachsenenbildung – Zwischen funktionaler Anpassung und kritischer Reflexion. In: Ludwigsburger Beiträge zur Medienpädagogik – LBzM, 23/2023. S. 1–15. doi.org/10.21240/lbzm/23/08 (https://doi.org/10.21240/lbzm/23/08 ; Zuletzt aufgerufen am: 19.01.2024)

Richardson, Niall. Transgressive Bodies. Representations in Film and Popular Cul-ture, Farnham, Surrey et al.: Ashgate, 2010.

Schemer, Christian. „Schlank und krank durch Medienschönheiten? Zur Wirkung attraktiver weiblicher Medienakteure auf das Körperbild von Frauen“ Medien & Kommunikationswissenschaft 51/3-4, 2003, 523–540.

Schemer, Christian. „Die Medien als heimliche Verführer? Der Einfluss attraktiver Medienpersonen auf das Körperbild von Rezipientinnen und Rezipienten“, Bun-deszentrale für gesundheitliche Aufklärung, Letzter Zugriff am: 11.12.2015, https://forum.sexualaufklaerung.de/index.php?docid=878.

“Death Becomes Her (1/10) Movie CLIP – At Home With Helen (1992) HD”, YouTube (Letzter Zugriff am: 25.01.2024, https://www.youtube.com/watch?v=s-pgK_Rvuwc )

Bildnachweise:

Medienkompetenz für Erwachsene copyright @ pixabay (yousafbhutta)

Helen (Goldie Hawn) im Fat Suit. Copyright @ Robert Zemeckis Reg. Death Becomes Her (US: Universal Pictures, 1992, 104 Min)

Fernbedienung copyright@ pixabay (StockSnap)

Verzerrte Körperwahrnehmung als zu dick copyright @ pixabay (Bruno)

Medienkompetenz copyright @ pixabay (Albers Heinemann)

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