Sind Routinen Kreativitätskiller?

Auf Instagram, TikTok und Co. liegen sogenannte Morning Routines bestehend aus Meditation, Sport, Journaling und anderen gesundheitsfördernden Maßnahmen im Trend. Angeblich sollen diese Routinen Leistungsfähigkeit und Lebensqualität steigern. Und auch ich hatte ein perfektes Routine-Konzept entwickelt, um mich und meinen Tagesablauf maximal effizient zu gestalten. Irgendwann jedoch bemerkte ich, dass eine andere wichtige Fähigkeit von mir unter der Routine zu leiden schien: meine Kreativität. Aber sind Routinen tatsächlich Kreativitätskiller?

Inhaltsverzeichnis

Routinen, Selbstdisziplin und Selbstwert

05:00 Uhr: Mein Lichtwecker beginnt einen Sonnenaufgang zu simulieren.
(Licht kurbelt die Produktion von Hormonen wie Serotonin an, was für Wohlbefinden und Energie sorgt.)

05:30 Uhr: Die „Sonne“ meines Lichtweckers ist vollständig aufgegangen und ich sitze aufrecht im Bett, um das große Glas Wasser zu trinken, dass ich mir am Vorabend ans Bett gestellt habe.
(Nach dem Schlafen ist der Körper dehydriert. Außerdem regt das Wasser den Stoffwechsel an und macht wach.)

6:00 Uhr: Ich habe meine halbstündige Morgenmeditiation abgeschlossen und ziehe mir die Sportklamotten an, die ich mir am Tag zuvor herausgelegt habe.
(Meditation beruhigt den Geist, baut Stress ab und verbessert die Konzentration.)

6:45 Uhr: Ich bin vom Joggen zurück und gehe unter die Dusche.
(Das morgendliche Joggen kann den Stoffwechsel ankurbeln, die mentale Klarheit steigern und einen energetischen Start in den Tag ermöglichen.)

7:00 Uhr: Während mein Kaffee kocht, räume ich die Spülmaschine aus, schneide Obst und tuppere mein Müsli ein.
(Das Multitasking beim Kaffee kochen ermöglicht es, Zeit zu sparen und einen organisierten Start in den Tag zu haben.)

7:30 Uhr: Meinen Kaffee habe ich während dem Schminken getrunken und fahre im Business Outfit ins Büro.
(Obwohl es bei meinem Arbeitgeber keinen Dresscode gibt, vermittelt ein Business Outfit im Büro Professionalität, fördert ein positives Image und kann das Selbstvertrauen sowie die Glaubwürdigkeit gegenüber Kunden und Kollegen stärken.)

Der Einblick in meine vormalige Tagesroutine ließe sich noch fortführen. Aber ich habe Sorge, dass ich bereits hier, um 7:30 Uhr morgens, mindestens die Hälfte meiner Leser verloren habe. Die Idee ist klar: Ich hatte ein perfektes Konzept entwickelt, um mich und meinen Tagesablauf maximal effizient zu gestalten – aber auch, um mich und meinen Tagesablauf maximal unflexibel zu gestalten.

Wann immer ich von der Routine abwich, machte ich mir große Vorwürfe und beschimpfte mich innerlich als Versagerin. Ich sei einfach nicht diszipliniert genug, wenn mich das bisschen Regen vom Laufen abhielt, oder ich am Vorabend zu spät Schlafen gegangen war und daher noch etwas länger im Bett liegen bleiben wollte, oder ich vergessen hatte, neue Milch für meinen Kaffee zu kaufen oder oder oder…

Die Lösung lag jedoch auf der Hand: Wenn ich nicht diszipliniert genug war, musste ich mir eben eine Struktur schaffen, um an meiner Selbstdiziplin zu arbeiten. Kurzum: Ich musste mir selbstdisziplin-fördernde Routinen schaffen. Es war ein Teufelskreislauf.

Routinen, Effizienz und Effektivität

Auch in der Arbeit war ich dank meiner Routinen maximal (zeit)effizient. Das ironische daran war, dass ich unter anderem auch für die Zeiterfassung im Unternehmen verantwortlich war und ein durchdachtes Set an Regeln und Strukturen entwickelt hatte, um das gesamte Team zur Selbstdisziplin und Selbstoptimierung anzuhalten. Diese Rigidität erreichte in den letzten Monaten im Unternehmen einen Höhepunkt. Im Rückblick scheint es mir, als hätte ich mir selbst mit den immer strikter werdenden Regelungen, Strukturen und Routinen ein Korsett geschneidert, um ja nicht auszubrechen, um ja weiter zu funktionieren. Erfolglos. Irgendwann kündigte ich. Und beschimpfte mich – wie könnte es auch anders sein – als Versagerin, weil ich nicht die Disziplin gehabt hatte, um diesen Karriereweg weiter zu verfolgen.

Außer, dass meine Routinen immer strikter wurden, war mir in den letzten Monaten meiner Arbeit aber noch etwas anderes aufgefallen: Ich war zwar maximal zeiteffizient, aber nicht sonderlich effektiv. Ich schaffte es immer, meine Aufgaben mit minimalen Ressourcen wie Zeit, Energie oder Kosten zu erledigen. Und ich erzielte auch Ergebnisse. Aber diese Ergebnisse waren qualitativ betrachtet nicht sonderlich gut. Dass meine Arbeitsergebnisse an Effektivität verloren hatten, merkte ich daran, dass immer wieder ähnliche Themen auf meinem Tisch landeten, an denen ich eben erst gearbeitet hatte. Ich wunderte mich, wieso das Problem noch nicht gelöst war und machte mich als fleißiges Bienchen direkt wieder an die Arbeit, nur, um nach ein paar Wochen wieder mit neuen Lücken und Denkfehlern konfrontiert zu sein.

Was also war das Problem?

Keine kreative Idee Bild von Mohamed Hassan von pixabay
Routinen machen effektiv, aber nicht notgedrunden effizient. Denn ein immergleicher Tagesablauf kann die Kreativität hemmen.

Sind Routinen wirklich Kreativitätskiller?

Heute, mit genügend Abstand betrachtet, weiß ich, was das Problem war: Es mangelte meinen Lösungsideen an kreativer Kraft.

Kreativitätsarbeit wird meist Künstlern, Musikern und Schriftstellern zugeschrieben, ist aber tatsächlich ein wesentlicher Bestandteil zahlreicher Berufsgruppen, auch solcher, die auf den ersten Blick scheinbar nichts mit Kunst zu tun haben. So brauchte ich auch als Prozessmanagerin Kreativität als Fähigkeit, originell zu denken und neue Ideen, Wege und Abläufe zu generieren.

Mit meinem Effizienz-Wahn und meinen rigiden Routinen hatte ich mir ins eigene Fleisch geschnitten, denn: Die immer wiederkehrenden Abläufe hatten mein kreatives Potenzial und damit meine Problemlösungskompetenz fast komplett gehemmt.

Aber ist es wirklich so einfach? Sind Routinen tatsächlich Kreativitätskiller?

Routinen als Kreativitätskiller

Es gibt eine weit verbreitete Annahme, dass kreatives Denken oft aus spontanen Eingebungen entsteht, bei denen die Lösung eines Problems plötzlich vor dem inneren Auge auftaucht. Psychologische Forschungen zeigen jedoch, dass kreative Lösungen in der Regel das Ergebnis eines kontinuierlichen und langwierigen Problemlösungsprozesses sind.

Dieser Prozess beginnt meist mit der Generierung vieler Ideen (divergentes Denken), von denen später einige ausgewählt und weiter ausgearbeitet werden (konvergentes Denken). Konvergentes Denken nutzt logische und analytische Verfahren, um zu einer spezifischen Lösung zu gelangen. Im Gegensatz dazu ist divergentes Denken durch unkonventionelle Assoziationen, Perspektivwechsel und die Erweiterung des Horizonts gekennzeichnet.

Was aber passiert, wenn man den eigenen Tagesablauf maximal mit Routinen durchstrukturiert? Dann läuft jeder Tag in etwa gleich ab. Es gibt also keinen Platz mehr für Perspektivverschiebungen und keine Offenheit mehr, um den eigenen Horizont zu erweitern und einen Fundus an neuen Ideen, Eindrücken und Erkenntnissen zu schaffen. Das divergente Denken, die Fähigkeit zum Generieren von Ideen, wird dann nicht mehr ausreichend kultiviert und verkümmert. Die Folge: Der kreative Problemlösungsprozess ist gehemmt.

Routinen können divergentes Denken und damit Kreativität hemmen. Denn wenn jeder Tag gleich aussieht, bleibt kein Platz mehr für neue Ideen, Eindrücke und Erkenntnisse. Freiräume sind für Kreativität also unumgänglich.

Routinen als Basis für Kreativität

Man könnte also behaupten, dass Routinen Kreativitätskiller sind. Ganz so einfach ist es jedoch nicht. Zwar können starre Routinen divergentes Denken und damit kreatives Schaffen hemmen, aber gleichzeitig sind Routinen auch eine wesentliche Voraussetzung für Kreativität, denn sie ermöglichen es, Energie zu sparen und geistige Ressourcen für kreative Prozesse freizusetzen.

Durch wiederholtes Ausführen einer Handlung, sprich durch Routine, kommt es zu Automatisierungseffekten: Man kann Tätigkeiten „blind“ und ohne nachzudenken ausführen. Und dieser Prozess der Automatisierung entlastet das Aufmerksamkeitssystem und schafft kreativen Freiraum.

Entlastende Routinen liefern also die notwendige Struktur und Stabilität, die als Ruhepol und Kraftquelle für kreatives Denken und Handeln dienen. Ohne diese Basis könnte man sich nicht dauerhaft im Modus der Kreativität befinden.

Routinen und Kreativität: Ein Balanceakt

Routinen sind also per se keine Kreativitäskiller, sondern wie immer gilt: Die Dosis macht das Gift. Routine und Kreativität stehen in einer komplementären Beziehung. Das eine ist nicht ohne das andere möglich.

Auf individueller Ebene kommt es wohl darauf an zu erkennen, wie viel Routine und wie viel Freiraum es braucht, um kreativ arbeiten zu können. Ich persönlich habe ein paar Aspekte meiner Morgenroutine beibehalten, aber ich nehme mir auch viele bewusste Freiräume. Und vor allem mache mich selbst nicht mehr verrückt, wenn ich meine Routinen nicht immer zu 100% konsequent einhalte. Denn wer weiß: Vielleicht verbirgt sich genau hinter genau dieser Abweichung ein großes kreatives Potenzial.

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Quellen:

Funke, Joachim: „Kreativität im Spannungsfeld zwischen Routine und Nicht-Routine: Zum Entstehen eminenter Leistungen aus psychologischer Sicht.“ URL: https://joachimfunke.de/wp-content/uploads/2023/09/Funke-2023-Routine.pdf (Letzter Zugriff: 05.05.2025)

Bilder: 

copyright @pixabay (Mohamed_hassan)

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