Krankheit und Tabu – Warum die Veröffentlichung von Prinzessin Kates Krebserkrankung richtig und wichtig ist

Prinzessin Kate Middleton und ihr Schwiegervater Charles haben Krebs. Welche Art von Krebs – darüber schweigen beide und bitten um Wahrung ihrer Privatsphäre. Aus meiner Sicht zeigt die aktuelle Situation der Royals und deren Umgang mit selbiger, dass das Reden über Erkrankungen nach wie vor ein gesellschaftliches Tabu ist. Das hat weitgreifende Folgen, denn: Wenn über ein bestimmtes Thema nicht gesprochen wird, bleibt Raum für Spekulationen, Fehlinformationen und Ängste offen – und das kann im Falle von Krankheiten potenziell lebensgefährlich sein.

Inhaltsverzeichnis

Prinzessin Kate hat Krebs

Seit Wochen kursierten im Internet absurde Theorien über die Abwesenheit von Kate Middleton, Prinzessin von Wales. Da ich kein großer Royal-Fan bin, bekam ich die Diskussion nur am Rande mit. Ich las Schlagzeigen, die Beziehungsprobleme zwischen Kate und William suggerierten, sah ein Foto der Prinzessin mit ihren drei Kindern, wunderte mich kurz darüber, weshalb die Bearbeitung dieses Fotos in der Öffentlichkeit scheinbar so ein großes Problem darstellt und befasste mich schnell wieder mit anderem.

Als ich an einem Montag mit einer Freundin zusammen am Schreibtisch saß, ploppte eine Nachricht auf ihrem Handy auf. „Kate Middleton hat Krebs“, sagte sie verblüfft und zeigte mir ein Bild von dem mittlerweile sehr bekannten PR-Video der Prinzessin.

In den Folgetagen sah ich mir das komplette Video an, fand Berichterstattungen zum Video und befasste mich zum ersten Mal in meinem Leben näher mit der 42-jährigen, krebskranken Mutter dreier Kinder, die Anfang des Jahres operiert, nun mit Krebs diagnostiziert worden war und in all diesem Trubel ständig von der Presse verfolgt wird.

Unter einem Instagram-Bericht über die Krebserkrankung der Prinzessin fand ich den wütenden Kommentar einer Nutzerin: 

„Sind jetzt alle zufrieden, dass sie diese schwerkranke Frau dazu gezwungen haben, ein so privates Thema zu veröffentlichen?!“

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In einer Videobotschaft verkündete Prinzessin Kate ihre Krebserkrankung (Quelle: The Times and The Sunday Times)

Ist eine Krebserkrankung Privatsache?

Ja, ich bin zufrieden, dass Prinzessin Kate ihre Erkrankung publik gemacht hat

Eine krebskranke Mutter mit spekulativen Berichterstattungen zu verfolgen, während diese operiert wird und auf lebensentscheidende Befunde wartet, ist schlimm. Insofern verstehe ich die Wut der Instagram-Nutzerin. Und trotzdem muss ich sagen: Ja, ich bin zufrieden. Ich bin zufrieden, dass Prinzessin Kate ihre Erkrankung publik gemacht hat. Mehr noch: Ich würde mir wünschen, dass sowohl sie als auch ihr Schwiegervater Prinz Charles, der gerade ebenfalls eine Chemotherapie durchläuft, die Art ihrer Krebserkrankung preisgeben und das fortwährende Bitten um mehr Privatsphäre unterlassen würden. Denn die aktuelle Situation der Royals und deren Umgang mit selbiger spiegelt ein heikles gesellschaftliches Problem wider, das auch mir während meiner eigenen Krebserkrankung begegnet ist.

"Danke, dass du das mit mir geteilt hast."

Ich erhielt meine Krebsdiagnose am 30. August 2023. Während ich in den darauffolgenden Wochen von mehreren Ärzten untersucht und beraten wurde, fing ich nach und nach an, meinem Umfeld von meiner Erkrankung zu erzählen. Ich erzählte es primär meiner Familie und meinen Freunden. Aber ich kommunizierte meine Erkrankung auch an potentielle Arbeitgeber, deren Bewerbungsprozesse ich mit meiner Krebserkrankung begründet abbrechen musste und informierte ein paar Nachbarn, damit ich im Notfall Menschen in nächster Nähe um Hilfe bitten könnte.

Alle waren sichtlich besorgt, verständnisvoll und hilfsbereit. Aber immer wieder bekam ich gleichzeitig auch Rückmeldungen wie „Danke, dass du das mit mir geteilt hast.“ Oder „Ich habe XY von deiner Krebserkrankung erzählt. Ich hoffe, das ist okay für dich.“

Es dauerte noch ein paar Wochen, bis ich begriff, was genau mich an diesen Sätzen irritierte.

"Seit meiner Diagnose sind die Frauen in meinem Umkreis deutlich aufmerksamer geworden und lassen sich untersuchen."

Am 26. September 2023, knapp einen Monat nach meiner Krebsdiagnose, wurde der Tumor operativ aus meiner Brust entfernt. Am Nachmittag desselben Tages machte ich in meinem Krankenhausbett ein Foto von mir und teilte es mit dem nachfolgenden Text auf all meinen Social Media Kanälen:

Ende August habe ich an meiner Brust eine kleine Beule entdeckt. Am nächsten Morgen bin ich direkt zur Gynäkologin gegangen. Sie hat mich untersucht, aber nur auf Nachfrage und beinahe widerwillig an die Radiologie überwiesen und das obwohl

man die Beule auch von außen gut sehen und ertasten konnte,
ein Ultraschall gemacht wurde, der den Fremdkörper gezeigt hat und
meiner Mutter drei Monate zuvor eine Brustkrebadiagnose erhalten hat

Auf meinem Überweisungsschein stand „ggf. Mammographie“. Entlassen wurde ich mit den Worten „Ich denke nicht, dass wir uns vor der nächsten Vorsorge sehen müssen und unsere Praxis ist jetzt erstmal urlaubsbedingt zwei Wochen geschlossen.“ Ein Vertretungsarzt wurde mir nicht genannt.

Nachdem mir erst ein Radiologietermin für März 2024 (⁉️) angeboten wurde, konnte ich glücklicherweise online dann doch schon für den Folgetag einen Sonographietermin vereinbaren.

Herausgekommen ist:

Ich habe Brustkrebs. Mit 32.

Noch dazu eine recht aggressive Form, die schnell wächst und gerne streut. Weil ich hartnäckig geblieben bin und einen kompetenten Radiologen angetroffen habe, der mich trotz meines Alters ernst genommen hat, konnte der Tumor frühzeitig erkannt und heute entfernt werden. Jetzt stehen mir weitere Therapieschritte bevor, unter anderem Chemo und Bestrahlung.

Warum ich das alles teile?

Weil allein in meinem eigenen Freundeskreis zwei weitere Frauen schon sehr jung, mit Ende 20 und Anfang 30, an Krebs erkrankt sind und man trotzdem nie glaubt, dass das einem selbst passieren könnte. Leider macht Krankheit aber vor keinem Alter halt. Auch Krebs nicht. Bleibt also aufmerksam, vertraut auf eure Körpersignale und sucht euch Ärzte, die wirklich zuhören, sorgfältig untersuchen und gut beraten.

Seit meiner Diagnose sind die Frauen in meinem Umkreis deutlich aufmerksamer geworden und lassen sich untersuchen (Übrigens können auch Männer an Brustkrebs erkranken!). Teilt meine Geschichte daher gerne und verlinkt eure Freunde und Familie in den Kommentaren, damit auch sie ihre Vorsorgeuntersuchungen wahr und ernst nehmen.

Brustkrebs unter 35 Laura Fazio
Am Tag meiner Tumor-Op machte ich meine Krebserkrankung auf Social Media publik

Warum ich meine Krebserkrankung auf Social Media geteilt habe

Die Bitte der Prinzessin von Wales um mehr Privatsphäre während ihrer Krebstherapie, ihr und Prinz Charles‘ Schweigen über die Art der jeweiligen Krebserkrankung, Kommentare wie „Danke, dass du das mit mir geteilt hast.“ Und „Ich hoffe, es ist okay, dass ich XY von deiner Krebserkrankung erzählt habe.“ – all diese Situationen machen deutlich, dass es ein gesellschaftliches Tabu ist über bestimmte Krankheiten zu sprechen. Vor allem in meinem Alter, mit Anfang 30, redet eigentlich kaum jemand über Erkrankungen und das obwohl tatsächlich sehr viele junge Leute krank sind. Das Thema wird unter dem „Das ist privat“-Label schlichtweg aus dem öffentlichen Diskurs verbannt.

Und das hat weitgreifende Folgen, denn: Wenn über ein bestimmtes Thema nicht gesprochen wird, dann kommt das einer kollektiven Verdrängung gleich – und das kann im Falle von Krebserkrankungen potenziell lebensgefährlich sein. Man wiegt sich in falscher Sicherheit, missachtet die Signale des eigenen Körpers und geht im schlimmsten Fall erst dann zum Arzt, wenn die Erkrankung bereits weit fortgeschritten ist. Einfach deshalb, weil man denkt „Das gibt es nicht. Das passiert nicht.“

Wenn über ein bestimmtes Thema nicht gesprochen wird, dann kommt das einer kollektiven Verdrängung gleich – und das kann im Falle von Krebserkrankungen potenziell lebensgefährlich sein. Man wiegt sich in falscher Sicherheit, missachtet die Signale des eigenen Körpers oder geht im schlimmsten Fall erst dann zum Arzt, wenn die Erkrankung bereits weit fortgeschritten ist.

Krankheit und Tabu

Tabus, soziale Normen und Machtstrukturen

Meine Haltung zum Thema Tabus ist weder neu noch einzigartig. Jemand, der sehr viel über die Zusammenhänge zwischen Tabus und Machtstrukturen publiziert hat, ist der französische Philosoph Michel Foucault.

Foucault argumentiert, dass Tabus Teil eines komplexen Systems von sozialen Normen und Diskursen sind, die die Art und Weise beeinflussen, wie Menschen ihre eigenen Körper und Begehren wahrnehmen. Tabus erhalten oder verschieben dadurch Machtverhältnisse in der Gesellschaft.

Ich habe mich im Zuge meiner Doktorarbeit (Ge)wichtige Körper, in der es um die mediale Darstellung weiblichen Übergewichts geht, viel mit Foucault beschäftigt. Dort zeige ich auf, inwiefern der übergewichtige Frauenkörper per se als ein Tabukörper in westlichen Gesellschaften betrachtet wird. Er wird häufig als abweichend von den gesellschaftlichen Schönheitsstandards angesehen und mit negativen Stereotypen wie Faulheit, Unattraktivität und mangelnder Selbstdisziplin in Verbindung gebracht.

Ein adaptiertes Beispiel für Michel Foucaults Gedanken über Tabus, soziale Normen und Machtstrukturen wäre in diesem Kontext das Tabu, über das eigene Körpergewicht zu sprechen, insbesondere wenn es als Übergewicht wahrgenommen werden könnte. Das Thema Gewicht wird oft vermieden oder mit Scham und Peinlichkeit verbunden. Das Machtsystem und das Gefälle zwischen schlanken Idealkörpern und Übergewicht wird dadurch jedoch gleichzeitig aufrechterhalten, denn: In dieser Dynamik wird das Thema Gewicht zu einem Bereich, über den Menschen nicht offen sprechen können, und dies kann dazu führen, dass Betroffene sich unbehaglich fühlen, wenn sie Unterstützung suchen oder Hilfe in Anspruch nehmen möchten und dies eventuell dann schlichtweg vermeiden.

Tabus lassen Raum für Spekulationen und Fehlinformationen offen und schüren (teilweise unbegründete) Ängste

Tabus erhalten oder verstärken also soziale Normen und Machtstrukturen. Aber mehr noch: Der hinter Tabus stehende Grundsatz „Darüber redet man nicht“, lässt Raum für Spekulationen und Fehlinformationen offen und schürt (zum Teil auch unbegründete) Ängste. Gerade im Kontext von Krankheiten sehe dies äußerst problematisch.

Nehmen wir als Beispiel hierfür die von Foucault diskursanalytisch untersuchte Stigmatisierung von Syphilis in der Vergangenheit. Syphilis ist eine sexuell übertragbare Krankheit und wurde in einer Zeit, in der Sexualität als Ganzes sowieso stark tabuisiert war, schnell mit außerehelichem Sex und promiskuitivem Verhalten in Verbindung gebracht. Aufgrund der moralischen Verurteilung und des Tabus, das mit dieser Krankheit verbunden war, wurden Informationen zurückgehalten oder verzerrt. Über Ursachen, Symptome und Behandlungsmöglichkeiten von Syphilis wurde nur mangelhaft aufgeklärt. Die Folge: Es kursierten jede Menge Fehlinformationen, welche Ängste in der Bevölkerung schürten und das Tabu sowie das Stigma verstärkten.

Einige glaubten zum Beispiel, dass Syphilis durch Berührung, gemeinsame Nutzung von Toiletten oder andere alltägliche Interaktionen übertragen wurde. Dies führte zu einer übermäßigen Angst vor Betroffenen, die daraufhin stark isoliert wurden. Andere glaubten, dass Syphilis eine gerechte Strafe Gottes für sündhaftes Verhalten sei. Die Menschen zögerten aus diesen und vielen weiteren Fehlinformationen und Ängsten heraus, sich medizinische Hilfe zu suchen oder über ihre Infektion zu sprechen, schliefen weiter mir anderen Personen und sorgten damit dafür, dass sich die Krankheit weiter verbreiten konnte.

Syphilis ist damit ein sehr anschauliches Beispiel dafür, wie die Tabuisierung letzten Endes zu einer Verschärfung der eigentlichen Problematik führen kann.

„Wir Menschen schreiben uns so gerne auf die Kappe, als reflektierte Wesen aus unseren Fehlern lernen zu können. Die Wahrheit ist aber, dass wir nur allzu gerne in alte Muster verfallen und dies nicht einmal bemerken.
Dass Tabus und damit auch die Tabuisierung von Krankheiten Raum für Fehlinformationen offen lassen und damit (teilweise unbegründete) Ängste schüren, ist schon lange bekannt. Mit unseren heutigen Kommunikationsmöglichkeiten wird die Gefahr, dass sich diese Fehlinformationen rasend schnell und weit verbreiten, nur noch potenziert."

Warum die Veröffentlichung von Prinzessin Kates Krebserkrankung richtig und wichtig ist

Ließ dir den letzten Absatz über die Stigmatisierung von Syphilis in der Vergangenheit nochmal aus einer zeitgenössischen Perspektive durch: Eine Krankheit, über die viele Fehlinformationen kursieren, vor der man Angst hat, weil man nicht genau versteht, woher sie kommt und wie sie sich verbreitet, bei der manche lieber nicht zum Arzt gehen, weil die Diagnose zur sozialen Isolation führen könnte. Na? Klingelt da etwas? Fühlst du dich nicht auch an die Corona-Pandemie erinnert?

Wir Menschen schreiben uns so gerne auf die Kappe, als reflektierte Wesen aus unseren Fehlern lernen zu können. Die Wahrheit ist aber, dass wir nur allzu gerne in alte Muster verfallen und dies nicht einmal bemerken. Dass Tabus Raum für Fehlinformationen offen lassen und damit (teilweise unbegründete) Ängste schüren, ist schon lange bekannt. Mit unseren heutigen Kommunikationsmöglichkeiten wird die Gefahr, dass sich diese Fehlinformationen rasend schnell und weit verbreiten, nur noch potenziert.

Wenn also die Prinzessin von Wales, sich wochenlang vor der Presse versteckt, nicht kommuniziert, um welchen Krebs es sich handelt und um Privatsphäre bittet, bleibt Raum für Spekulationen, Missverständnisse, gefährliches Halbwissen offen, die dann unkontrolliert im Internet kursieren.

Ich habe durchaus Mitgefühl mit der krebserkrankten 42-Jährigen Mutter dreier Kinder. Aber Prinzessin Kate hat inmitten ihrer persönlichen Misere die Möglichkeit Gutes zu tun und etwas zu bewirken. Sie könnte die von ihrem Ärzteteam wissenschaftlich gesicherte Informationen teilen, von ihren Erfahrungen berichten und so ein Gegengewicht zu Spekulationen und Fehlinformationen schaffen. Sie könnte zur Aufklärung beitragen und auch junge Menschen darin bestärken, auf die eigenen Körpersignale zu achten und frühzeitig Ärzte aufzusuchen. Ich jedenfalls würde mir wünschen, dass Kate dabei helfen würde, Tabus aufzulösen anstatt sie aufrecht zu erhalten. Aber wer weiß, was noch passiert. Die Prinzessin wäre sicher nicht die erste, deren Erkrankung sie zu einem Sinneswandel führt. Also heißt es jetzt Abwarten und – nach britischer Manier – Tee trinken.

Quellen:

Foucault, Michel: „Sexualität und Wahrheit. Die Geständnisse des Fleisches“ Berlin: Suhrkamp Taschenbuch Wissenschaft, 1987 (Bd 1-4).

Foucault, Michel: „Die Geburt der Klinik: Eine Archäologie des ärztlichen Blicks“ Frankfurt a. M.: Fischer Taschenbuch, 1988.

„Kate announces shock cancer diagnosis“, The Times and The Sunday Times. URL: https://www.youtube.com/watch?v=jKSss3fDY2g (Zuletzt aufgerufen am: 1.4.24)

Bilder: 

„Buckingham Palace“ copyright @pixabay (Nils-Nyvang)

„Tabu“ copyright @pixabay (philm1310)

„Social Media“ copyright @pixabay (Thomas Ulrich)

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